Illustration von einer Person im Rollstuhl, einer Person mit Blindenstock und dem Symbol für Gehörlosigkeit

Barrieren im Kopf bei Menschen ohne Behinderungen

Ich will darauf hinweisen, dass die folgenden Zeilen lediglich meine Meinung darstellen und als Gedankenanstoß dienen sollen. Nicht das sich Menschen mit Behinderung für etwas Besseres halten oder vielleicht Menschen ohne Behinderung glauben könnten, sie wären Menschen zweiter Klasse. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Ob dies nur ein Trugschluss eines selbst betroffenen ist oder Tatsache soll nicht Thema dieses Textes sein.

Was aber mit hoher Wahrscheinlichkeit zutrifft ist, dass bei Menschen mit Behinderung positiv interpretierbare Eigenschaften wie Geduld, Toleranz, Kreativität, Menschenkenntnis oder Wertschätzung viel ausgeprägter sind. Oder sie werden es zumindest im Laufe ihres Lebens mit Behinderung werden. Von meinen Eltern habe ich jene explosive Energie geerbt, die jetzt sofort alles erledigen will und haben will, auch wenn es eine noch in der Station stehende U-Bahn ist und man müsste laufen um sie noch zu erreichen. Beim ersten und vielleicht sogar beim zweiten oder dritten Mal geht es gut, spätestens nach einem Flug über die Bahnsteigkante oder weil wieder einmal ein Pfeiler mitten im Weg steht, erspart man sich derlei Torheiten allerdings.

Sollte es einem wie mir nicht gegeben sein, leicht um Hilfe bitten zu können….

Ich stehe zum Beispiel an einer vielbefahrenen Kreuzung und habe total die Orientierung verloren. Vielleicht sollte ich erwähnen, dass ich praktisch blind bin (bis auf einen kleinen Sehrest). Jetzt wäre also eigentlich ein guter Zeitpunkt um Hilfe zu bitten, aber ich zögere, da mir vielleicht ja doch noch ein Geistesblitz kommen könnte. Nach einer halben Stunde vergeblichen Wartens beschließe ich doch jemanden um Hilfe zu fragen. So habe ich zusammengerechnet schon tagelang auf Kreuzungen zugebracht, unfähig um Hilfe zu bitten. Aber heute ist mir meine Zeit zu schade und ich frage gleich. Ich bin noch immer ein harter Brocken und manchmal unzugänglich für die Lektionen des Lebens. Umso hartnäckiger werden mir diese eingehämmert.

Oder wie es einem Freund von mir, der auf den Gebrauch eines Rollstuhls angewiesen ist, schon des öfteren passierte, dass er vor einer alten Straßenbahn- oder Busgarnitur stand, unmöglich selbstständig dort einzusteigen. Er kann auch schwer seinen Rollstuhl nehmen und hinein hüpfen. Schon einige Male kam zwar ein Fahrzeug, dessen FahrerIn war aber offensichtlich blind, denn die Rampe, die es meinem Freund ermöglichen würde einzusteigen, wurde einfach nicht ausgefahren und sie fuhren einfach weiter. Natürlich hat mein Freund diesen FahrerInnen die Krätze an den Hals gewünscht, aber was bringt das schon? Wenn in einer neu gebauten Bankfiliale eine Stufe zu bewältigen ist um ins Innere zu gelangen oder in einem Restaurant, welches sich als barrierefrei anpreist, zwar das WC behindertengerecht ist, aber dieses nur über Stufen zu erreichen ist, muss man sich als behinderte Person (und eigentlich auch ohne Behinderung) fragen, ob da mal wieder jemand nicht mitgedacht hat.

Mit unendlicher Gelassenheit – auch so eine Eigenschaft, die mir das Leben hartnäckig beibringen will – werden die Rechte von Menschen mit Behinderung beschlossen und langsam umgesetzt. Zwar durchlässig und zahnlos, weil Hinz und Kunz sich mit einem Griff in die Portokassa freikaufen können, aber besser als gar nichts.

Dies bringt mich zur Dankbarkeit. Menschen mit Behinderung brauchen Hilfe. Auch finanzielle, die staatlich gefördert wird, aber vielmehr die alltägliche kleine Hilfe, die nie als selbstverständlich angesehen wird, auch wenn es manchmal so scheint.  Kreativität und Flexibilität sind Ressourcen, die zwar immer öfter eingefordert werden, jedoch bei Menschen mit Behinderung nicht wahr- und ernstgenommen werden. Obwohl sie unbestreitbar vorhandenes Werkzeug im Überlebenskoffer sind, weil gerade behinderte Menschen selten den einfachen Weg gehen, sondern mit viel Kreativität und Flexibilität nur über Umwege ans Ziel gelangen können. Was mich also wirklich immer wieder verwundert ist, wie ArbeitgeberInnen auf diesen vielfältigen Schatz „Behinderung“ reagieren, als wäre es wertloser Tand. Ist es das wirklich so oder ist lediglich das Auge der Betrachtenden vernebelt vom Streben nach mehr?