Ein mit Kreide gezeichnetes Fragezeichen auf einer schwarzen Tafel.

Von der Kunst des richtigen Führens

Wer sich im Folgenden eine Anleitung zum richtigen Umgang mit Menschen erwartet wird hier nicht enttäuscht werden. Dies ist zwar nicht die hundertste Ausgabe der Gebrauchsanweisung für ManagerInnen, wie sie aus ihren MitarbeiterInnen noch mehr rausholen können, aber es geht auch um Führungsqualitäten.    

Ich weiß, welche Reaktionen ich bei meiner Umgebung auslöse, wenn ich mit meinem weißen Stock des Weges komme und mir, für sehende Menschen scheinbar unbeholfen, den Weg ertaste. An dieser Stelle sollte ich erwähnen dass ich blind bin, was an sich für mich keine große Sache ist, jedoch zum besseren Verständnis dieser Anleitung wichtig ist.

Manche denken anscheinend „Hilfe, ein/e Behinderte/r! Wenn ich da jetzt helfe, werde ich möglicherweise auch krank“. Ich habe auch schon folgende Aussage gehört: „Ich würde blinden Menschen ja gerne helfen, aber vielleicht verletze ich ihn, also lasse ich es zur Sicherheit“. Wahlweise aber auch „Eine blinde Person! Ich muss helfen, ganz egal wie“. Manche bleiben auch einfach stehen, fasziniert schauend von meiner Stocktechnik und vergessen dabei sogar einen Schritt zur Seite zu gehen um mir ein ungehindertes Vorüberziehen zu ermöglichen. All diese Reaktionen entstehen und entstanden unter anderem durch ein massives Informationsdefizit. Das ist auch verständlich, denn man kann nunmal nicht alles wissen, sich allerdings für vieles interessieren. Aus meinem Erfahrungsschatz, den ich mit willigen HelferInnen gesammelt habe, würde ich sagen, dass die Kontaktaufnahme für die meisten ein großes Problem darstellt. Viele helfen, ohne Anlass dazu, einfach weil ihnen eine blinde Person begegnet. Manche tun es einfach wortlos. Wenige gar nicht.

„Kann ich Ihnen helfen? Wie kann ich Ihnen helfen?“

Diese beiden Fragen sind der Schlüssel zu den Gedanken und Herzen eines jeden Menschen, nicht nur zu Menschen mit Behinderung. Wir sind alle selbst die ExpertInnen unserer eigenen Bedürfnisse. Somit wissen wir im Regelfall am Besten, was uns hilft und was wir brauchen.

Ich will also anhand einiger Beispiele erläutern worauf es beim führen von blinden oder sehgeschädigten Menschen ankommt. Eines Abends warte ich an einer Kreuzung auf einen Freund um mit ihm der Welt ein Loch zu schlagen. Ein bereitwilliger Helfer dürfte die Situation allerdings missverstanden haben, denn er packte mich am Arm und zerrte mich auf die andere Seite der Straße, da die Ampel gerade „grün“ umgesprungen war. Ich war so perplex, dass ich erst drüben meine Sprache wieder fand und bat meinen Helfer mich doch wieder rüberzubringen, da ich doch eigentlich den Zebrastreifen gar nicht überqueren wollte. Hätte mich dieser Helfer gefragt, wäre uns viel erspart geblieben. Das Gleiche gilt für mir nachgehende PassantInnen, die mich plötzlich wortlos am Arm packen und mich ein Stück des Weges mitnehmen, scheinbar genau wissend wohin ich will.

Dann gibt es jene die mich „fernsteuern“ wollen. Sie gehen einen Meter hinter mir und rufen mir Anweisungen zu, wohin ich zu gehen habe und dass ich achtgeben soll. Worauf genau verraten sie mir allerdings nicht. Diese Methode ist deshalb schwierig, weil die Umweltgeräusche und die Anweisungen der Helfenden oft schwer zu trennen sind. Außerdem verrät mir ein „Achtung!“ nicht ob ich mich ducken oder einen großen Schritt machen soll.

Auch StockgreiferInnen habe ich schon des öfteren erlebt. Die nehmen scheinbar an, dass mich der Stock führt und ich nur hinterherlaufen muss. Sie nehmen den Stock und ziehen mich daran in die ihnen richtig erscheinende Richtung, welche nicht immer mit meinem Planweg übereinstimmt wodurch ich dann die Orientierung verliere und mich erst recht wieder durchfragen muss. An dieser Stelle ein Hinweis: der Blindenstock ist nur ein Hilfsmittel zur besseren Orientierung, er führt mich nicht wie ein Blindenführhund! Fortbewegen und orientieren muss ich mich schon selbst. Manchmal werde ich auch mit dem Vorurteil konfrontiert dass blinde Menschen nicht Treppensteigen können – weder hinauf noch hinunter. PassantInnen schleudern mir dann gerne ein „Vorsicht!“ oder „Achtung!“ entgegen, was wenig hilfreich ist – egal in welcher Situation.

Aber wie geht‘s denn jetzt richtig?

Erster Schritt ist immer die Kontaktaufnahme mit Hilfe der beiden oben genannten Fragen (Ich kann es nicht oft genug wiederholen: „Kann ich Ihnen helfen?“ und „Wie kann ich Ihnen helfen?“). Sollten Angesprochene nicht sofort reagieren, so liegt es nur selten daran, dass noch eine zusätzliche Hörbeeinträchtigung vorliegt, sondern an der tiefen Konzentration die wesentlichen Geräusche von den Unwesentlichen zu unterscheiden. Dann einfach nochmals ansprechen. Ab da entscheidet eine gute Kommunikation ob und wie eine blinde Person zum Ziel kommt.

Nicht selten kommt es vor dass das Hilfsangebot, manchmal auch unfreundlich, abgelehnt wird. Dafür kann es unterschiedliche Gründe geben. Von der Tatsache, dass die Angesprochenen einfach keine Hilfe brauchen bis zum Unvermögen Hilfe annehmen zu können. Egal aus welchem Grund: Wer keine Hilfe will, bekommt auch keine.

Meine liebste Führmethode ist mich am Arm der HelferInnen unterzuhaken oder aufgrund meiner Größe auch umgekehrt. Und dann nebenher zu gehen. Grundsätzlich ist aber bei jeder Führmethode die Kommunikation wichtig. Kommen Stufen oder eine Bordsteinkante, dann sollte diese Information an mich weitergegeben werden. Und bitte auch dazu sagen ob ich rauf oder runter muss… Bei Engstellen sollten die Helfenden vorangehen und darauf achten, dass sie mich nicht abstreifen. Auch die Tür in meinem Gesicht ist keine besonders reizvolle Erfahrung – wenngleich ich sie schon einige Male machen musste.

Wer meine Hand irgendwo „ablegt“ sollte dazu sagen worauf sie liegt.Es bringt nichts darauf zu hoffen, dass ich aufgrund meines ausgeprägteren Tastsinnes schon wisse, was es ist. Einfach aussprechen, dann kenne ich mich aus.

Hier, wie überall, gilt: “Durchs Reden kommen d‘Leut zamm!“