Schwar-weiß-Foto von zwei Baby-Händen die eine große Hand festhalten.

Die Spezial-Mutter

nach einer Idee von Erma Bombeck

Jeden Tag schwebt Gott über der Erde und betrachtet sich die zukünftigen Mütter mit großer Sorgfalt. Dann diktierte er genau einem Engel ins riesige Hauptbuch, welche Seele zu welcher Mutter kommt und wer sein Schutzengel sein wird: Müller, Anna – Sohn. Schutzengel: Raphael. Schneider, Marie – Tochter. Schutzengel: Michael. Schließlich nennt er dem Engel einen Namen und sagt: „Diese Mutter bekommt ein Kind, das mit Behinderung leben wird.“ Der Engel wird neugierig: „Warum gerade ihr, sie ist doch so glücklich?“ „Eben deswegen“ sagt Gott lächelnd. „Kann ich einem behinderten Kind eine Mutter geben, die das Lachen nicht kennt? Das wäre grausam.“ „Aber hat sie denn die nötige Geduld?“ fragt der Engel. „Ich will nicht, dass sie zu viel Geduld hat. Sonst ertrinkt sie in einem Meer von Selbstmitleid und Verzweiflung. Wenn der anfängliche Schock überwunden und der Zorn verklungen ist, wird sie es tadellos schaffen. Ich habe sie heute beobachtet. Sie hat den Sinn für Selbstständigkeit und Unabhängigkeit, der bei Müttern so selten und so notwendig ist. Verstehst du: Das Kind, das ich ihr schenken werde, wird in seiner eigenen Welt leben und sie muss es ermutigen, in der ihren zu Leben – das wird nicht einfach werden.“

„Aber Herr, soviel ich weiß, glaubt sie nicht einmal an dich.“ Gott lächelt. „Das macht nichts, das geht schon in Ordnung. Nein, sie ist hervorragend geeignet, sie hat genug Egoismus.“ Der Engel ringt nach Luft: „Egoismus, ist das denn eine Tugend?“ Gott nickt. „Wenn sie sich nicht gelegentlich von ihrem Kind trennen kann, wird sie das alles nicht schaffen. Diese Frau ist es, die ich mit einem behinderten Kind beschenken werde. Sie weiß es noch nicht, aber sie ist zu beneiden. Nie wird sie ein gesprochenes Wort als selbstverständlich hinnehmen, nie einen ersten Schritt. Wenn ihr Kind zum ersten Mal Mama sagt, wird sie wissen, dass sie ein Wunder erlebt. Wenn sie ihrem Kind einen Baum oder den Sonnenuntergang erklärt, wird sie ihn so sehen, wie nur wenige Menschen meine Schöpfung jemals sehen. Ich werde ihr erlauben, alles klar zu erkennen, was auch ich erkenne: Unwissenheit, Grausamkeit, Vorurteile. Und ich werde ihr erlauben, sich darüber zu erheben. Sie wird niemals allein sein. Ich werde bei ihr sein, jeden Tag, jede einzelne Minute, weil sie meine Arbeit ebenso sicher tut, als sei sie hier neben mir.“

„Und, was bekommt sie für einen Schutzheiligen?“ fragt der Engel eifrig mit gezückter Feder. Da lächelt Gott: “ Ein Spiegel wird genügen.“