Eine Person die im Rollstuhl sitzt

Behinderung und Arbeitsrecht

Die Ausgleichstaxe

In Österreich gilt die sogenannte Einstellungspflicht, das heißt beschäftigt ein Unternehmen mehr als 25 MitarbeiterInnen und mehr, so ist ein/e „begünstigte/r Behinderte/r“ einzustellen. Bei 25 MitarbeiterInnen müss(t)e eine, bei 75 drei und bei 300 mindestens 12 Menschen mit Behinderung angestellt werden. Als „begünstigte Behinderte“ gelten alle die vom Sozialministeriumservice mit einem Grat der Behinderung von mindestens 50% eingestuft wurden. Kann oder will ein Unternehmen die geforderte Anzahl von Menschen mit Behinderung nicht einstellen, so muss eine Ausgleichstaxe an das Sozialministeriumservice bezahlt werden. Mit dieser Taxe werden behinderte Menschen gefördert, die beispielsweise keinen Arbeitsplatz finden oder Unternehmen die Inklusion im eigenen Betrieb leben.

Die zu bezahlende Summe für die Nichteinstellung behinderter Menschen wird gestaffelt nach Unternehmensgröße. DienstgeberInnen, welche die Einstellungspflicht nicht erfüllen, müssen im Jahr 2019 für jede offene Pflichtstelle monatlich mindestens 262 Euro zahlen. Hat der Betrieb 100 oder mehr Beschäftigte, steigt die Ausgleichstaxe auf 368 Euro pro offener Pflichtstelle, bei 400 oder mehr Beschäftigten auf 391 Euro.

Ein Beispiel: Die ÖBB (Österreichische Bundesbahnen – Eisenbahngesellschaft) beschäftigt über 40.000 MitarbeiterInnen. Bei dieser Anzahl an Angestellten müssen, laut Gesetz, 1.600 behinderte Menschen in diesem Unternehmen einen Arbeitsplatz finden. Sollten die ÖBB keine Person aus dieser Gruppe beschäftigen, müssten sie eine monatliche Ausgleichstaxe von 625.600 Euro, also über 7,5 Mio. Euro im Jahr, an das Sozialministeriumsservice bezahlen.

Anmerkung: Uns liegen keine Zahlen über die Anstellung von Menschen mit Behinderung in diesem Unternehmen vor. Das Beispiel dient nur zur Konkretisierung der Zahlen.

Mehr als eine frische Perspektive

Damit wird ersichtlich, dass es einem Unternehmen unter Umständen sehr teuer kommen kann, diese Vorgaben nicht einzuhalten. Neben einer neuen Arbeitskraft mit frischer Perspektive verlieren Firmen dadurch auch die Möglichkeit von den reichlichen Förderungen zu profitieren. In vielen Fällen übernimmt zum Beispiel das Arbeitsmarktservice (AMS) einen beträchtlichen Teil der Lohnnebenkosten. Seit dem 1.3.2019 haben Unternehmen durch die sogenannte Inklusionsförderung (oder Lohnförderung) die Möglichkeit bis zu 30% des Bruttolohnes, der für eine/n behinderte/n Angestellte/n ausgegeben wird, vom Sozialministeriumsservice zurück zu bekommen. Zusätzlich können Kosten die durch vielleicht benötigte Adaptierungen am Arbeitsplatz entstehen, fast zur Gänze zurück gefordert werden.

Es ist also wenig verständlich, weshalb sich so viele UnternehmerInnen nicht mit dem Gedanken an behinderte MitarbeiterInnen beschäftigen. Dies wird leider immer wieder ersichtlich wenn man die Arbeitslosenquote beachtet, die in fast allen Bereichen rückläufig ist, außer bei behinderten Menschen – hier steigt die Zahl der arbeitslosen Personen sogar tendenziell.

Erhöhter Kündigungsschutz

Wie also aus den vorherigen Zahlen schon zu lesen ist, haben es Menschen mit Behinderung noch schwerer eine passende Arbeitsstelle zu finden, unabhängig von der Qualifizierung. Aus diesem Grund ist ein spezieller Kündigungsschutz im Behindertengleichstellungsgesetz (BEinstG) geregelt. Grundsätzlich ist zu sagen, dass begünstigte behinderte Personen, die seit dem Jahr 2011 neu eingestellt werden, innerhalb der ersten vier Jahre wie alle anderen ArbeitnehmerInnen gekündigt werden können. Ausnahmeregelungen gelten für Arbeitsunfälle, Arbeitsplatzwechsel innerhalb eines Konzerns und für jene Fälle, in denen die Begünstigteneigenschaft innerhalb dieser vier Jahren festgestellt wird. Weiters kann die nachträgliche Zustimmung zu einer bereits ausgesprochenen Kündigung dann erteilt werden, wenn es den DienstgeberInnen zum Zeitpunkt der Kündigung nicht bekannt war und nicht bekannt sein musste, dass die/der DienstnehmerIn dem Personenkreis der „begünstigten Behinderten“ angehört.

Sind diese vier Jahre verstrichen müssen DienstgeberInnen, um eine begünstigte behinderte Person entlassen zu können, einen Antrag auf Zustimmung zur Kündigung beim Behindertenausschuss im Sozialministeriumsservice einbringen. Außerdem muss die Absicht beim Betriebsrat, der Personalvertretung und der Behindertenvertrauensperson bekanntgegeben und um eine Stellungnahme gebeten werden. Weiters muss vor Einleitung des Kündigungsverfahrens vom Sozialministeriumservice den beiden Seiten die Durchführung einer Krisenintervention angeboten werden. Erst dann kann die Kündigung eingeleitet werden.

Staatlicher Bürokratiedschungel

Aus der Sicht von TROTZ-DEM erfüllen diese Maßnahmen nur teilweise die Bedingungen für Inklusion. Für Unternehmen mag es eine Hilfe bei der Entscheidung behinderte Menschen einzustellen sein. Aber selbst für diese bedeutet etwa die Beantragung dieser Förderungen einen enormen Zeit- und somit finanziellen Aufwand. Dadurch steigt die Abneigung behinderte Menschen einzustellen drastisch. Oder füllst du gerne jede Menge Formulare aus? Für eine behinderte Person allerdings bedeutet es noch zusätzlich in ständiger Unsicherheit im Job zu leben. „Denken die KollegInnen, dass ich eigentlich nur die/der „Quotenbehinderte“ bin?“ oder „Wurde ich wirklich wegen meiner Qualifikation eingestellt oder wegen der Einnahmen, die die Firma „mit mir“ machen kann?“ sind dabei gerechtfertigte Fragen. Nicht die Förderungen an sich sind das Problem, sondern das was sie vermitteln. Behinderte Menschen werden damit vielleicht teilweise integriert, jedoch nicht – wie in der UN-Behindertenrechtskonvention gefordert – inkludiert. Sie stellen somit wieder eine abgesonderte Gruppe innerhalb der Angestellten dar und werden weder vom Unternehmen selbst, noch von den anderen MitarbeiterInnen als vollwertige KollegInnen wahrgenommen. Um echte Inklusion zu leben, wären jedenfalls weitere Maßnahmen, wie etwa verpflichtende und kostenlose Weiterbildungen oder Inklusionsberatungen für UnternehmerInnen und Personalabteilungen, aber eben auch für alle anderen MitarbeiterInnen, notwendig.